Wenn wir auf Nummer sicher gehen wollen, floppt unser Rahmenprogramm

Kommunikationstrainer und Moderator Henning Harfst plant Veranstaltungen und Formate

Es hört wirklich nicht auf, immer wieder wird sich bei der Planung eines Rahmenprogramms von Auftraggebern gewünscht, wider besseres Wissens natürlich, dass sich mehrere Redner mit zehn Minuten Redezeit die Klinke in die Hand geben sollen. Die Funktionäre müssen ja alle etwas sagen, wenn eingeladen wird. Dazu wird schon fast schon reflexartig ein Rednerpult auf die Bühne gepflanzt. Da steht es fest verankert auf einer Bühne, die einem halben Meter über den Köpfen der Zuschauer emporragt. Bei mir stellen sich bei dieser Art von Kundenwünschen reflexartig die Nackenhaare auf.

Noch hat keiner ein Wort gesagt und der Zuschauer hat schon verloren und wir ihn.

Um das Bild nochmal vor unserem inneren Auge zu vergegenwärtigen. Wir stellen eine vermeintlich wichtige Person hinter ein Rednerpult – verstecken mehr als die Hälfte des Körpers vor den Augen der Zuschauer – zementieren die Person an den Standort und verhindern so jegliche Flexibilität. Mit der Höhe und Gestaltung der Bühne ziehen wir eine Grenze zwischen den Inhalten auf der Bühne und dem Zuschauer. Ein perfekter imaginärer Bühnengraben. Ich frage mich bei diesem Anblick ehrlich, für wen wird diese Art von Bühnenprogrammen eigentlich gemacht? Für den Zuschauer wohl kaum.

Wir adaptieren unsere Unternehmensstruktur auf das Veranstaltungsformat.

Wie kommt es dazu, dass junge engagierte Projektleiterinnen und Marketingstrategen immer wieder solche Szenarien planen? Sind die nicht innovativ genug? Sind die Traditionen zu stark? Seit Jahren habe ich dazu eine Theorie, die sich in der Praxis immer wieder bestätigt. Wenn wir im Leben auf Nummer sicher gehen wollen, dann wird es langweilig. Ist ja klar, es wird viel Geld ausgegeben, viele wichtige Menschen sind eingeladen, da ist Druck auf dem Kessel. Man möchte es jedem recht machen – nicht ganz – nicht den Gästen und Zuschauern, in der Regel macht man es den Geschäftsführern und Funktionären bequem. Grelles Licht, laute Musik, nein auf keinen Fall. Ein Interview, wie bitte? Zu aufwendig, zu kompliziert, Herr XY mag das nicht. Mit anderen zusammen auf der Bühne? Nein, das passt nicht in den Hierarchiegedanken. Der Zuschauer wird von Anfang an ausgeklammert und ganz subtil für dumm gehalten.

Über Jahre habe ich die Zuschauer befragt – mit erschreckendem Ergebnis.

Ich gebe zu, um Geld zu verdienen und weil ich zu wenig Erfahrung hatte, habe ich diese Formate jahrelang moderiert und hatte größte Mühe das Publikum zu aktivieren. Ehrlich, ich habe oft dran gezweifelt, ob ich wirklich ein guter Moderator bin, zu häufig war ich ausgebrannt, weil der Kontakt zum Zuschauer so mühsam war. Doch dann kam ich irgendwann auf die Idee mich unter das Publikum zu mischen, soweit das möglich war, denn meist hat man als Moderator während der Veranstaltung zu tun und der Auftraggeber sieht es nicht gerne, wenn die „Dienstleister“ sich zwischen den Gästen tummeln. Es ist immer etwas Spagat, aber ich tat es einfach, weil es mich interessierte. Und was kam bei den Gesprächen heraus? Die meisten Gäste kamen in erster Linie aus gesellschaftlicher Verpflichtung zur Veranstaltung. Man könne nicht wegbleiben, das fällt ja auf. Zudem gibt es leckeres Essen und man trifft Kollegen. Die Gäste kamen meist, um sich zu vernetzen, sich zu unterhalten. Ach, da war ja was, Unterhaltung! Ja! Natürlich sprach ich die Gäste auch auf die Bühnen-Inhalte an. Auch dort waren die Antworten gleich: Der Chef muss doch immer etwas sagen, und der Betriebsrat muss mit auf die Bühne, das ist obligatorisch, obwohl sie jedes Jahr dasselbe sagen. Alles sehr vorhesehbar und immer wieder gleich. Zuckerbrot und Peitsche.

Viele Zuschauer sind der Meinung, die Bühne wird nur für Wichtigtuer aufgebaut.

Als Moderator bekam ich natürlich auch mein Fett ab, das nur nebenbei bemerkt. Ich präsentierte nunmal dieses Programm. Doch wenn ich die Zuschauer nach Alternativen fragte, schaute ich oft in ratlose Gesichter. Meist lachend und leicht beschämt machten sie den Vorschlag, dass man doch den einen oder anderen aus dem Kollegium zu Wort kommen lassen sollte. Der hat was zu sagen. Häufig wurden auch Frauen genannt, die im Unternehmenskontext meist gar nicht richtig gesehen werden. Gewürdigt schon, meist bekommen sie einen von den Blumensträußen, die hinter der Bühne im Eimer und Papier stehen, die Art Blumen, die sie selbst vorher noch hastig besorgen müssen, um dann überrascht zu tun, wenn sie vom Chef aufgerufen werden. Ehrlich, bestimmt 100-mal erlebt und mir schwoll die Halsschlagader, das können Sie mir glauben. Und auch jetzt beim Schreiben dieser Zeilen, berührt es mich, dass sich keiner wirklich die Zeit nimmt, für die engagierten und auch manchmal unbequem scheinenden Charaktere im Unternehmen.

Die Zuschauer wollen Geschichten hören und erleben.

Egal in welchem Unternehmen ich bin, welche Größe es hat, wo es zu Hause ist oder in welcher Branche es tätig ist, der Flurfunk ist durchweg der wichtigste Kanal der Kollegen. Die informelle Struktur unter dem Organigramm hat sich über Jahre etabliert. Aufgrund dieser Schatten-Kultur können viele Unternehmen eigentlich noch effizient arbeiten. Aber das steht auf einem anderen Blatt Papier. Die besten Geschichten schreibt das Leben und sobald ich mich mit einigen Mitarbeitern eines Auftraggebers unterhalte, meistens in der Raucherecke, obwohl ich nicht rauche, erfahre ich wirklich tolle Szenen, die das Zeug für die Bühne haben. Da werden die Kollegen oder Kunden vor Lachen vom Stuhl fallen oder emotional berührt sein, so dass man eine Nadel fallen hören könnte.

Wir sind ja im Internet, da sollen die Texte nicht so lang werden.

Biegen wir also die nächste Abzweigung ein und kommen zu Lösungen. Was können wir also tun, damit wir dranbleiben, am Bildschirm, auf den Sitzen, wo auch immer. Beobachten wir uns doch selbst. Wann klicken wir weg? Wenn es langweilig wird. Wann ist das der Fall? Wenn es vorhersehbar wird. Wenn wir schneller an eine Information kommen wollen. Meist haben Veranstaltungen die immer gleichen Ziele, wir erwarten mehr von unseren Zuschauern – in dem Fall von unseren Kollegen. Wir informieren über neue Produkte und Strategien, also wollen mehr Umsatz machen – wir erwarten also wieder mehr. Übrigens nebenbei bemerkt, ohne die Verkaufsstrategien mit den Kollegen gemeinsam zu entwickeln, sondern denen einfach überzustülpen. Wer einen hohen sechsstelligen Betrag ausgibt, um seine Kollegen aus ganz Deutschland zu versammeln, der erwartet in der Regel etwas für diese Leistung, auch wenn der Dank mittels Blumensträußen und am Abend über die Getränkeflatrate ausgedrückt wird. Der Umsatz steht immer im Vordergrund. Es dreht sich um Auftakte, Impulse, Neustarts, Aktivierungen – ok darum geht es im Kern. Das ist nicht verwerflich, aber nun mal auch langweilig, wenn man zuvor nicht involviert wird und dieser Erfolg nur ausgesuchten Kollegen öffentlich zuteil wird. Dies ist ein Seitenhieb auf die „Mitarbeiter des Monats oder des Jahres-Aktion“. In jeder Gala auf dem Programmzettel.

Wie wir die informellen Strukturen entdecken?

Warum haben wir Erfolg auf dem Markt? Welche Beziehungen machen uns erfolgreich? Welche Art von Charakteren machen uns erfolgreich – und an der Stelle genau schauen, wer die leisen Erfolgreichen sind, die lauten Charaktere kennt jeder. Sie wollen echte Emotionen auf Ihrer Veranstaltung, Tränen vor Lachen und vor Rührung? Dann schrauben Sie das Bühnenniveau herunter, schmeißen Sie das Rednerpult weg und schaffen Sie Raum für die zweite Reihe – lassen die leisen Charaktere sprechen. Lassen Sie jemand anderes die Veranstaltung eröffnen, vollziehen Sie Perspektivwechsel, die zum Nachdenken und zu Diskussionen in der Pause und danach anregen. Stellen Sie die Hierarchien auf den Kopf. Und dann gibt es dank der vielen kreativen Köpfe in den Agenturen und Unternehmen immer wieder neue Methoden und Aktivierungsimpulse, um Zuschauer zum Mitmachen, zum Diskutieren zu bringen.

Wozu braucht es da noch einen Moderator oder eine Moderatorin?

Ja genau! Wozu? Der Moderator sammelt mit Ihnen die Geschichten, schaut sich die Schmerzen und Erfolge Ihres Unternehmens an. Wird als unabhängiger Begleiter akzeptiert und etabliert. Derjenige, der auch mal was sagen darf, was nicht jeder ausspricht, der die Geschichten orchestriert ohne, dass irgendeiner bevorzugt wird oder zwischenmenschliche Geschichten hereininterpretiert werden. Objektiv kann und soll ein Moderator nicht sein. Der Zuschauer wünscht sich Orientierung beim Perspektivwechsel, der Zuschauer möchte sich im Gesagten ehrlich wiederfinden, das kann ein Moderator leisten.

Wie bekomme ich die Geschichten auf die Bühne?

Meistens kennen Sie die Geschichten und deren Urheberinnen. Machen Sie sich auf die Suche. Finden Sie auch Menschen bei Kunden oder Mitbewerbern, die Sie bei sich auftreten lassen können. Der Moderator kümmert sich darum, dass diese Menschen bestmöglich begleitet werden, im Vorfeld, wie vor den Augen der Zuschauer. Das kann ein Moderator leisten.

Ich wünsche Ihnen vom Herzen viel Erfolg

Und eines sei noch gesagt. Glauben Sie keinem Chefsekretär, der sagt, das mag unser Chef aber nicht und dies mag er. In einem neuen Zusammenhang wird er oder sie es lieben oder schätzen lernen. Das Konzept muss halt stimmig sein, dann zieht der Chef auch mit.

Es fängt oft mit Diskussionen an und hört mit Diskussionen auf. Am besten hört es nie auf im Diskurs zu sein. Dann ist man auf dem Weg innovativ zu werden.

 

Wie zeigen sich die Unternehmenstrukturen auf Veranstaltungen? Zwei Beispiele:

Beispiel 1:

Bei einem Vertriebs-Kick-off gab es schlechte Stimmung, Innen- und Außendienst verstanden sich nicht, wurden zu einer Veranstaltung geladen und warteten nun auf die Dinge, die sich dort auf der Bühne taten. Ich bin da ahnungslos in die Falle getappt. Alles war irgendwie komisch, angespannt, hölzern, ich fühlte mich nicht wohl. Heute würde ich das im Vorfeld gleich bemerken, damals dachte ich, das wäre normal und habe es auch mit Lampenfieber verwechselt. Der Abend lief so vor sich hin. Dann traten die Künstler auf, tolle Musiker und Tänzer, der Applaus war träge. Die Künstler waren besorgt und aufgeregt.

Da passierte etwas in mir, ich fühlte mich plötzlich verantwortlich für die Künstler und Musiker, war empört über die Reaktion des Publikums, denn der Auftritt war qualitativ gut und ich kannte die Gruppe zufällig auch von anderen Veranstaltungen. Ich versuchte in meiner Moderation das Thema leicht anzuschneiden, etwas humorvoll zu verpacken und legte eine Bauchlandung hin. Da habe ich mich wohl zu weit aus dem Fenster gelehnt. Auch nach dem nächsten Auftritt der Künstler war die Stimmung angespannt. Ich fasste mir ein Herz und setzte alles auf eine Karte und ging mit den Künstlern raus. Rief: Applaus!

Die Zuschauer applaudierten auf Kommando, vielleicht etwas unter Schock

Ich sagte, dass der Applaus, die Würdigung unserer Arbeit sei und wir nun mal den Zuschauern zurück applaudieren, dass sie heute hier sind und auch sein können, denn die teure Veranstaltung sei auch ihr Verdienst. Die Zuschauer waren verdutzt und wir riefen, großartig, danke und applaudierten ihnen zu. Dann liefen einige Künstler in den Zuschauerraum – kurzzeitig eskalierte die Situation – und applaudierten den verbliebenen Künstlern auf der Bühne, dann ging ich auch runter und holte das Publikum auf die Bühne – ehrlich gesagt war ich in dem Moment etwas ferngesteuert, von meinem Herzen vielleicht. Später standen alle Zuschauer auf der Bühne und wir im Zuschauerraum und applaudierten uns gegenseitig zu. Wir haben so gelacht, es war so laut, dass die Mitarbeiter des Hotels kamen, um zu schauen, die haben dann auch mit applaudiert. Eine Kettenreaktion. Und ich schwöre, der Alkohol floss erst später. Erst in Gesprächen am Abend erfuhr ich über den harten Kampf zwischen Innen- und Außendienst und das keiner jemals richtig gewürdigt wurde und dass dieser Abend wirklich ein Befreiungsschlag war. Das war ein Perspektivwechsel. Die Geschichte war der Knaller, so eindrucksvoll, dass ich sie hier niederschreibe.

Beispiel 2:

Mit meiner Kollegin zusammen moderierte ich ein Großgruppenworkshop mit ca. 500 Teilnehmern. Anspruchsvoll, ohne Frage. So ein Workshop findet meistens statt, wenn es um das Unternehmen nicht gutsteht. Der Schmerz halt stark genug ist, um etwas zu tun. Im Vorfeld fanden natürlich Vorbereitungen statt, und während dieser Vorbereitungen wurden wir vor einem Kollegen gewarnt. Der würde Stimmung machen und die Kollegen aufhetzen. Ahja! Meine Kollegin und ich waren ganz schön verdutzt ehrlich gesagt und haben am Abend noch lange zusammengesessen, um uns von diesem Übergriff auf unsere Arbeit zu befreien, denn nun gab es für uns gedanklich kein Zurück, die Teilnehmer tragen Namensschilder und wir wussten nun, wer denunziert wurde. Blöde Sache.

Wenn wir auf Nummer sicher gehen, töten wir die Spontanität

Am darauffolgenden Tag war die Veranstaltung und natürlich kam die besagte Person auf die Bühne, ein auffälliger Protagonist, ohne Frage. Ehrlich gesagt brauchten wir kein Namensschild zu lesen, um zu erkennen, dass es sich um den besagten „Querulanten“ handelte. Unsere Vereinbarung vom Vorabend war gemeinsam zu schweigen, ihn gewähren zu lassen, um so an die wirklichen Emotionen des Unternehmens zu gelangen. Eine Gratwanderung, aber wir waren zu zweit, Frau und Mann, haben jahrelange Erfahrung und haben genug Demut und Respekt, um uns auch zu irren. Also Augen auf und durch! Die Geschäftsführung blickte aufgeregt zu uns herüber, dann schauten die Teilnehmer in Richtung Geschäftsführung. Was keiner wusste, wir hatten die Geschäftsführung gebrieft sich zurückzuhalten, egal was kommt, es auszuhalten. Zum Glück hielten sie sich daran. Nicht ganz einfach, wenn ein einziger Typ, der nicht gerade sympathisch wirkte, das Unternehmen verbal auseinandernahm und das vor ganzer Belegschaft samt Geschäftsführung. Chapeau! So langsam gingen dem Redner die Argumente aus, denn die Kollegen, die ihm sonst zur Seite standen, waren verstummt. Wir griffen seine Kritikpunkte sachlich auf und dokumentierten seine Kritik.

Der Workshop ging weiter, die Aufregung legte sich.

Im Laufe des Tages kam der besagte Protagonist wieder nach vorne. Diesmal konstruktiver und demütiger. Der Prozess des gemeinsamen Workshops war sofort zu sehen. Es kam zu verbindlichen Vereinbarungen und er konnte sich beruhigen, da ihm von allen mit ernsthaftem Interesse zugehört worden ist. Kurzum, seitdem ist Ruhe eingekehrt und es wird sich vor möglichen Eskalationen an einen Tisch gesetzt. Ich lernte also, nicht der Meinung des Auftraggebers zu folgen, sondern mich auf mein Gefühl zu konzentrieren und bei mir zu bleiben und natürlich auch meiner geschätzten Kollegin zu vertrauen.

Wichtig: Auf Nummer sicher gehen, sollten wir bei der Auswahl der richtigen Technik und der Erstellung des Zeitplans – das ist solides Handwerk und unterstützt spontane Einfälle fachgerecht.

 

Weitere Impulse gibt es in meinem Blogbeitrag zum Thema: Zum Moderatoren ernannt worden

Inspiriert wurde dieser Beitrag von:

9 Tipps zum perfekten Rahmenprogramm , MICE Portal

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Bildnachweis: Danke an Fotografin Heidi Abt, München